Carina ist ratlos. Sie war den ganzen Tag mit ihrem Sohn Jakob in der Therme. Jetzt liegt er in seinem Camping-Schlafsack und kommt nicht zur Ruhe. Nach all dem Getobe müsste er doch ins Bett fallen und in der Sekunde einschlafen. Stattdessen wälzt er sich hin und her, will etwas zum Trinken haben, muss noch einmal aufs Klo gehen und so weiter. Jakob kann sich nicht entspannen. So geht es vielen Kindern, die hochsensibel sind und einen aufregenden Tag erlebt haben.
Merkmale hochsensibler Kinder
Jedes Kind ist anders und auch die Hochsensibilität macht sich in den unterschiedlichsten Bereichen bemerkbar. Folgende Merkmale können für eine Hochsensibilität beim Kind sprechen:
- ist sehr feinfühlig
- reagiert sehr intensiv
- ist gegenüber Sinnesreizen wie Geräuschen, Licht, Berührungen überempfindlich
- fühlt mit anderen stark mit
- die emotionale Reaktionen sind sehr heftig
- Veränderungen können schwierig sein
- beobachtet viel und genau
- ist sehr kreativ und besitzt einen starke Vorstellungskraft
- ist schmerzempfindlich
- fühlt sich der Natur und Tieren sehr verbunden
- denkt häufig nach und reflektiert
- fühlt sich überwältigt von Menschenmengen oder lauten Umgebungen
- reagiert sehr sensibel auf Kritik und Konflikte
- hat einen hohen Gerechtigkeitssinn
- hat hohe Ansprüche an sich, ist perfektionistisch
- nimmt die Stimmung anderer intensiv wahr
- reagiert stark auf äußeren Druck und Erwartungen
- tendiert zum Rückzug oder introvertiertem Verhalten
- setzt sich mit moralischen und ethischen Fragen auseinander
- nimmt selbst feine Nuancen in der Umgebung wahr
Doch was hat das mit dem Campen zu tun? Für hochsensible Kinder ist ein Camping-Urlaub auf der einen Seite eine wunderbare Angelegenheit. Auf der anderen Seite kann es aber auch eine große Herausforderung sein.
Die Vorteile eines Campingurlaubs
Das Essen
„Nein, das esse ich auf keinen Fall!“ Hochsensible Kinder lehnen manche Lebensmittel strikt ab. Wie bei den meisten Menschen ändern sich die Vorlieben im Laufe der Zeit. Aber das, was sie im Moment nicht essen wollen, wollen sie WIRKLICH nicht. Auch die Zubereitung mancher Speisen und damit verbundener Konsistenz kann Entsetzen hervorrufen. Viele Kinder haben die Lebensmittel gerne getrennt. Die Soße darf die Spaghetti-Nudeln nicht berühren etc. Da trifft es sich gut, dass du im Wohnmobil oder Wohnwagen immer die eigene Küche mit dabei hast. Damit ist das Zubereiten dieser „Sonderwünsche“ ein Kinderspiel.
Für hochsensible Kinder kann es sehr schwierig sein Hunger auszuhalten. Hunger schlägt schnell in schlechte Laune um. Ein langes Warten im Restaurant kann daher herausfordernd sein. Im Wohnmobil hingegen ist es ein Leichtes einem hungrigen Kind ein Stück Gemüse oder ein paar Nüsse zu geben, während es auf das Essen wartet.
Ein weiterer Bonus der Camping-Küche:
Restaurantbesuche können für hochsensible Menschen Stress bedeuten. Hektisches Umherlaufen der Kellner, Stimmengewirr und intensive Gerüche sind sehr anstrengend. In Ruhe im eigenen Vorzelt essen zu können, bietet viel mehr Entspannung.
Das Schlafen
Für hochsensible Kinder kann Schlafen ein besonderes Thema darstellen. Die Eindrücke des Tages müssen verarbeitet werden und das zur Ruhe kommen ist oft nicht leicht. Das eigene Bettzeug, das immer gleich bleibende Bett und die Nähe zu den Eltern sind sowohl beim Ein- als auch beim Durchschlafen eine große Unterstützung.
Die Natur
Abgesehen von reinen Stell- und Stadtcampingplätzen hat Camping viel mit Natur zu tun. Das ist für hochsensible Kindern sehr vorteilhaft. In der Natur entspannen sich die Sinne, es prasseln weniger Reize auf sie ein. Die viele Bewegung ermöglicht einen rascheren Stressabbau. Außerdem kommt die Natur der Kreativität, dem besonderen Blick für Details und der Fantasie der Kinder entgegen.
Auch Lärm lässt sich besser im Freien als in einer geschlossenen Halle aushalten. Indoor-Spielplätze sind eine große Herausforderung für die spezielle Wahrnehmung. Ein Spielplatz am Campingplatz hingegen ermöglicht Spaß und Bewegung, ohne den Kopf zu erschöpfen.
Die Nachteile eines Campingurlaubs
Die Gefühlsausbrüche
„Geh weg von mir! Du bist so blöd! Ich hasse dich!“ Jakob tobt und schreit. Seine Mama ist müde und versucht Jakob zu beruhigen. Mit leiser Stimmte redet sie auf ihn ein und scheint alles nur schlimmer zu machen. Eigentlich weiß sie auch, dass Jakob das Toben und Schreien braucht, um seine überreizten Sinne zu entladen. Aber muss das mitten am Campingplatz sein?
Schließlich bekommen hier die Nachbarn alles mit, ob sie wollen oder nicht. Jakobs Mama ist hin und her gerissen. Soll sie sich bei den Nachbarn entschuldigen und ihnen erklären, dass Jakob kein unerzogenes Kind, sondern einfach nur überfordert ist? Oder soll sie schweigen und hoffen, dass es bei einem einmaligen Schreianfall bleibt und die Nachbarn sowieso abfahren?
Die Nähe
Campen hat viel mit Nähe zu tun. Das ist ja an sich eine schöne Sache. Bei Schlechtwetter ist es aber durchaus eine Herausforderung. Hochsensible Kinder, die gerne Rückzugsorte haben, stoßen hier schnell an räumliche Grenzen. Geschwisterkinder toben um sie herum, Erwachsene unterhalten sich, es gibt keinen Platz um sich auszubreiten. Auf die Dauer macht so ein Urlaub keinen Spaß.
Tipps für Eltern hochsensibler Kinder
Weniger ist mehr
Für viele Familien ist es ein gelungener Urlaub, wenn ein Urlaubserlebnis dem nächsten folgt. Für hochsensible Kinder ist oft das Gegenteil der Fall. Stundenlanges Spielen im Sand, ausgedehntes Holzbrückenbauen über kleine Bäche oder das Beobachten kleiner Tiere sorgt für entspannte Köpfe und damit für gute Laune. Was will man als Eltern mehr?
Eine gute Wahl treffen
Auch hochsensible Kinder besuchen gerne am Abend die Mini-Disko oder sausen laut kreischend die Wasserrutsche hinunter. Sie brauchen die Lärmkulisse aber nicht den gesamten Tag über bis in den Abend hinein. Eine kluge Stellplatzwahl im Vorhinein ist sehr empfehlenswert.
Es lohnt sich vorab ein paar Campingplatz-Bewertungen zu lesen. Ist der Campingplatz besonders beliebt bei Jugend- oder Freundesgruppen? Dann kann das laute Musik, viel Stimmung und langes Aufbleiben mit Geräuschkulisse bedeuten.
Hochsensible Kinder sind sehr feinfühlig. Ständig streitende Nachbarn gehen irgendwann aufs Gemüt. Was für uns Erwachsene eine unliebsame Begleiterscheinung der Nähe zu fremden Menschen ist, kann für empfindsame Kinder belastend sein. Sobald sich Eltern dessen bewusst sind, kann gut gegengesteuert werden. Ein gemeinsamer Spaziergang überbrückt die Dauer bis sich die Nachbargemüter wieder beruhigt haben. Eine Umgruppierung der Spieldecke sorgt dafür, dass die Kinder nicht direkt daneben sitzen. Eine freundliche Unterhaltung mit den Nachbarn lenkt sie ab und sie haben ihren Streit vergessen. Im äußersten Fall heißt es Stellplatzwechsel.
Die Reiseplanung
Für manche Familien bedeutet Campen alle drei Tage weiterreisen. Die vielen Ortsveränderungen können für hochsensible Kinder schwierig sein. Gerade für Familien, die zum ersten Mal campen, macht es Sinn, das Camperleben in Ruhe kennenzulernen und sich Zeit zu nehmen. Im Idealfall bietet der Urlaub so viel Flexibilität, dass auf die Bedürfnisse aller Mitreisenden eingegangen werden kann. Das ist leider vor allem in der Hauptreisezeit nicht immer machbar. Beliebte Campingplätze müssen vorab reserviert werden und ein spontanes Verlängern ist kaum möglich. Kleinere, naturnahe Campingplätze haben diesbezüglich oftmals mehr Spielraum.
Sind die Kinder schon alt genug, ist es hilfreich, wenn sie beim Packen mit einbezogen werden. Das Gewicht und die Zuladungsfläche sind beim Campen stark begrenzt. Da macht es keinen Sinn, Sachen, die zwar schön aussehen, aber nicht gerne getragen werden, einzupacken. Bei hochsensiblen Kindern ist es nämlich nicht ungewöhnlich, dass statt unbequemen Jeans nur Leggings oder Strumpfhosen angezogen werden. Socken oder Unterhosen dürfen keine spürbare Naht aufweisen und von kratzenden Stoffen möchte ich gar nicht erst anfangen.
Auf das Besondere konzentrieren
Hochsensible Menschen nehmen viele Dinge besonders wahr. Das Leben ist bunter, intensiver und facettenreicher. Details stechen ins Auge, die andere Leute gar nicht bemerken. Gefühle werden intensiver gelebt und die Fantasie läuft auf Hochtouren. Es zahlt sich aus, sich auf die Kinder einzulassen und ihre Welt zu erfahren. Der schöne Spruch „der Weg ist das Ziel“ trifft auf viele hochsensible Menschen zu. Sie brauchen keine besonderen äußerlichen Reize, es gibt sowieso so viel zu entdecken. Mit ihrem Blick für das Besondere macht es vielen hochsensiblen Kindern Spaß zu fotografieren, zu malen, Geschichten zu schreiben. Erzählen sie im Nachhinein von ihrem Campingurlaub ist es nicht das Museum, das sie erwähnen, sondern kleine Details wie das unglaublich gute Eis, welches sie gegessen haben.
In Geduld üben
Jakob spielt gerne mit anderen Kindern. Doch bis es so weit ist, beobachtet er viel und sieht lieber aus der Entfernung zu. Seine Mama findet das sehr schade, denn auf dem Campingplatz wechseln die Kinder häufig. Es kann daher sein, dass Jakob zwar einen Freund gefunden hat, doch dann fährt dieser am nächsten Tag nach Hause und das Beobachten der anderen Kinder geht von vorne los. Wir Erwachsene neigen gern dazu einzugreifen oder ungeduldig mit unseren Kindern zu werden. Das hilft hochsensiblen Kindern nicht. Sie brauchen die Zeit, die sie brauchen. Will es gar nicht mit Spielkameraden auf dem Campingplatz klappen, kannst du dich im Freundeskreis umhören. Vielleicht gibt es eine andere campingbegeisterte Familie, die euch bei der nächsten Ausfahrt begleiten möchte.
Medien beschränken
Vorsicht vor zu viel Medienkonsum während der Fahrt oder bei Schlechtwetter! Hochsensible Menschen werden am Handy und Co regelrecht von Reizen überflutet. Selbst das Autoradio kann zu viel sein. Das macht müde und schlechte Laune. Für besonders anstrengende Tage zahlt es sich aus ein kleines Rätselbuch, besondere Stifte oder Spiele in Petto zu haben, um die Zeit möglichst stressfrei zu überbrücken und nicht nur auf digitale Medien angewiesen zu sein. Ein paar Ideen findest du hier.
Viel Verständnis
Viele hochsensible Kinder haben ein höheres Schmerzempfinden als andere Kinder. Ein Sturz mit dem Roller und der ganze Campingplatz weiß Bescheid. Ein Bienenstich in die Fußsohle und der Wanderausflug fällt ins Wasser. Auch, wenn es für weniger empfindsame Menschen nicht immer nachvollziehbar ist, aber ein genervtes „Was ist denn jetzt schon wieder“ hilft nicht. Viel Verständnis und das ein oder andere coole Pflaster lässt kleine Unglücksraben rasch wieder fit und munter werden.
Auch Etiketten bei Kleidungsstücken können hochsensible Kinder so irritieren, dass sie sich weigern es anzuziehen. Da hilft nur eines: abschneiden.
Es ist wie es ist
Hochsensibilität ist Fluch und Segen zu gleich. In unserer schnellen, lauten Welt ist es für hochsensible Menschen manchmal nicht leicht Schritt zu halten. Umso mehr brauchen diese Kinder Erwachsene an ihrer Seite, die ihre Besonderheiten erkennen und unterstützen. Dann wird auch die Campingreise ein Urlaub, an den sich die ganze Familie gerne zurückerinnert.
Hast du ein hochsensibles Kind? Berichte uns gern von eurem Urlaub!
Bildquelle: Canva